Alle hätten etwas davonDie EU sollte Großbritanniens Asylbewerber zurücknehmen

Die Zuwanderung mit legalen Mitteln in den Griff zu bekommen, fällt nicht nur Deutschland schwer. Auch Großbritannien kämpft mit illegalen Einreisen über den Ärmelkanal. Eine einfache Zusammenarbeit mit der EU könnte das Problem entschärfen.
Zahlreiche Regierungen im demokratischen Europa stehen mit dem Rücken zur Wand. In zwei der wichtigsten Länder, Großbritannien und Deutschland, drohen rechtsradikale Parteien, Macht zu erlangen oder gar die Macht zu übernehmen.
Ein wesentliches Problem: Die Menschen in diesen Ländern trauen den Parteien der Mitte nicht mehr zu, bei Migration, Asyl und Grenzen zu pragmatischen und sichtbaren Lösungen zu kommen. Alle europäischen Demokraten müssen darum ein großes Interesse daran haben, daran etwas zu verändern. Es gibt einen Plan, um dies zu erreichen. Er erfordert ein Minimum an europäischer Zusammenarbeit.
Die Krise der kleinen Boote
Schauen wir zunächst auf den Status Quo. Zu beobachten ist in Deutschland und in Großbritannien (größtenteils) eine Politik der harten und rauen Ankündigungen - und in der Folge die Unfähigkeit, diese Ankündigungen in die Realität umzusetzen.
So kamen im Jahr 2024 knapp 40.000 Migranten in kleinen Booten ("small boat crisis") an britischen Küsten an. Die Zahlen dürften im Jahr 2025 weiter steigen. In den vergangenen Tagen kündigte die Labour-Regierung unter Premierminister Keir Starmer deswegen ungewöhnlich harte Maßnahmen an. Diese sollen die Migranten abschrecken, nach Großbritannien zu kommen. Bereits seit einigen Monaten existiert wiederum ein Migrations-Deal zwischen Großbritannien und Frankreich. Beides wird nicht zu einer Verringerung der Zahlen führen, da sind sich die meisten Experten einig.
In Deutschland werden wiederum die gesunkenen Asyl-Erstanträge als Erfolg der Bundesregierung verkauft und mit den Zurückweisungen und Grenzkontrollen erklärt. Dabei hat der Rückgang der Anträge auch und vor allem mit dem Ende des Bürgerkriegs in Syrien zu tun. Ebenfalls laufen Asylverfahren von Syrern in Deutschland zwar wieder an, jedoch werden die meisten Anträge abgelehnt. Fest steht: Weder Großbritannien noch Deutschland haben derzeit einen Plan, wie sie dauerhaft und auch in Zukunft die großen Herausforderungen beim Thema Migration und Asyl meistern können.
Eine Politik der harten Ankündigungen ist riskant. Werden Dinge nicht umgesetzt, ist die Enttäuschung bei den Wählerinnen und Wählern vorprogrammiert. Die Parteien der Mitte schwächen sich selbst, während rechtspopulistische Kräfte, wie die AfD in Deutschland oder Nigel Farage mit seiner Reform Party in Großbritannien, davon profitieren. Das spiegelt sich in beiden Ländern auf dramatische Art und Weise in den Umfragen wider.
Was nun?
Es braucht ein fundamentales Umdenken. Viele Länder in der EU versuchen, die Herausforderungen beim Thema Migration, Asyl und Grenzen im Alleingang als Nationalstaat zu lösen. Doch der Schlüssel für den Erfolg liegt in einer europäischen Zusammenarbeit, die von Pragmatismus und Klugheit geprägt ist und bei der am Ende alle Seiten profitieren.
Um das zu erreichen, muss das Gefühl der "Unmöglichkeit" überwunden werden. Ebenfalls müssen die Parteien der Mitte sich vom Defätismus abwenden, neue Energie und Optimismus ausstrahlen.
Das Prinzip der sicheren Drittstaaten ist dabei entscheidend. Hier können europäische Demokraten zwei wichtige Dinge beweisen. Erstens: Sie zeigen, wie irreguläre Migration gestoppt werden kann, ohne dabei gegen Menschenrechte zu verstoßen. Zweitens: Die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU werden durch einen Durchbruch und einen gemeinsamen Erfolg gestärkt. Das stärkt wiederum den europäischen Zusammenhalt, weil klar wird, dass Regierungen gemeinsam an Lösungen arbeiten und diese auch umsetzen.
Damit ein solches Abkommen zwischen Großbritannien und einer Koalition an EU-Ländern erfolgreich ist, braucht es vier konkrete Schritte:
1. Großbritannien nimmt ab einem Stichtag alle Personen in Gewahrsam, die den Ärmelkanal überqueren und führt schnelle Verfahren zur Unzulässigkeit und Überstellung durch.
2. Eine Gruppe von EU-Ländern erklärt sich bereit, alle Personen zurückzunehmen, die nach dem Stichtag den Ärmelkanal überquert haben.
3. Die britische Regierung wird eine erste Gruppe von irregulären Migranten, die keinen Schutz benötigen, innerhalb weniger Tage nach dem Stichtag in die entsprechenden EU-Länder überstellen.
4. Die britische Regierung erklärt sich bereit ist, innerhalb des kommenden Jahres Flüchtlinge oder Asylsuchende über reguläre und legale Wege aufzunehmen, die sich bereits in der EU befinden.
Zwei entscheidende Signale werden gesandt: Für Migranten wird es sinnlos, sich auf den gefährlichen Weg von Frankreich nach Großbritannien über den Ärmelkanal zu machen, da eine Überstellung zurück in die EU sofort oder sehr schnell erfolgen würde. Zum anderen wird aus irregulärer Migration reguläre Migration - plötzlich lohnt es sich, sich über einen regulären und legalen Weg zu bewerben (z. B. über das Kontingent, das Großbritannien im Gegenzug anbietet).
Dabei kann irreguläre Migration drastisch und schnell reduziert werden, es erfordert keinen Austritt aus der Europäischen Menschrechtskonvention und verstößt nicht gegen internationales Recht.
Was haben wir davon?
Warum sollten wir so einen Plan in Deutschland unterstützen? Weil wir ein großes Interesse daran haben, ein anderes europäisches Land im Kampf gegen Rechtspopulismus zu unterstützen (auch, wenn es gar nicht mehr in der EU ist). Wir brauchen Großbritannien unbedingt, nicht nur als starken Nato-Partner.
Ebenfalls können wir zeigen, dass das Prinzip der sicheren Drittstaaten funktioniert. Wenn ein Abkommen zwischen Großbritannien und einer Koalition an EU-Ländern zum Erfolg geführt hat, kann das wiederum den Weg für weitere Abkommen mit sicheren Drittstaaten ebnen, die sich auch außerhalb von Europa befinden könnten (aber nicht müssen).
Und wenn Europas Demokraten auf Basis von geltendem Recht Probleme lösen, dann wird das auch den Zuspruch für radikale Kräfte verringern, die genau dieses Recht mit Füßen treten. Schafft Deutschland es, die Briten bei der Bewältigung ihrer Probleme zu unterstützen, dann haben wir damit dem gesamten europäischen Projekt geholfen - und damit auch uns selbst.
Der Autor ist Senior Analyst bei der European Stability Initiative, einer in Berlin ansässigen Denkfabrik. Bis 2023 arbeitete Philipp Sandmann als Politik-Reporter für RTL/ntv.